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Markus Offline



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31.10.2010 00:12
Filippo Galli: Wir brauchen auch 2. Mannschaften Antworten

http://www.spox.com/de/sport/fussball/na...me-zukunft.html


Filippo Galli ist in der Milan-Jugend groß geworden und hat 13 Jahre für die Rossoneri gespielt. Zusammen mit der Holländer-Connection Van Basten/Gullit/Rijkaard gewann der 47-Jährige u.a. dreimal den Pokal der Landesmeister und fünf Scudetti. Heute ist Galli Milans Jugendsektorleiter. Im SPOX-Interview stellt er den Jugendbereich des AC vor, spricht über Alexander Merkel, die Probleme des italienischen Fußballs und erzählt, wie er beinahe Nachfolger von Leonardo geworden wäre.
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SPOX: Herr Galli, können Sie uns den Jugendbereich des AC Milan vorstellen?

Filippo Galli: Unser Jugendsektor besteht aus drei großen Säulen. Der wichtigste Bereich sind unsere elf Mannschaften vom "Primavera"-Team (Jahrgänge 1991 bis 1993) bis hin zu den "Pulcini" (Jahrgang 2002). Die zweite Säule sind unsere Fußballschulen, die dieses Jahr einen enormen Aufschwung erlebt haben. Momentan haben wir mehr als 90 in Italien, Tendenz steigend. Dazu kommen rund zehn in aller Welt, z.B. in Sydney, Miami, Porto oder Los Angeles. Die dritte Säule sind unsere "Milan Junior-Camps", bei denen Kinder zwischen sechs und 16 Jahren eine Woche lang rund um die Uhr betreut werden. Dort geht es nicht nur um Fußball, sondern auch um Unterhaltung. Das spielerische Element steht im Vordergrund.

SPOX: Wie verläuft das Scouting in den Jugendabteilungen?

Galli: Wir haben zwei Abteilungen: Eine kümmert sich um den Wettkampfbereich (ab 14 Jahre), die andere um den sogenannten Basisbereich (8 bis 14 Jahre). Da in Italien Spieler unter 14 Jahren nicht aus anderen Regionen verpflichtet werden dürfen, konzentriert sich das Basis-Scouting auf die Lombardei. Unser Wettkampf-Scoutingbereich arbeitet in Italien, Europa und weltweit in allen fußballrelevanten Ländern, wie etwa Brasilien und Argentinien. Wir haben hier ein Jugendheim, in dem momentan 52 Kinder wohnen. Dort werden sie rundum versorgt, egal ob Schule oder Training.

SPOX: Wie lautet die Jugend-Philosophie des AC Milan?

Galli: Wir haben kein vorbestimmtes Spielsystem, das wir durch alle Mannschaften ziehen. Das "Primavera"-Team spielt allerdings dasselbe System wie die Profis. Alle anderen Mannschaften haben als Basis die Viererabwehrkette, die meisten agieren im 4-3-3 oder im 4-3-1-2. Was die Spielanlage betrifft, wollen wir ein konstruktives Aufbauspiel mit viel Ballbesitz sehen. Das Spiel soll aber nicht zu statisch sein, sondern der Ballbesitz dazu führen, Meter nach vorne zu machen. Bei den Kleinsten steht der Kontakt mit dem Ball im Vordergrund. Die Kinder sollen Mut und Selbstbewusstsein erlangen, um den Gegner immer die Stirn zu bieten. Später werden Schritt für Schritt Individual- und Mannschaftstaktik Teil des Trainings.
Die besten Spieler des Milan-Jugendsektors
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SPOX: Vize-Präsident Adriano Galliani hat 2009 "eine neue Ära im Milan-Jugendsektor" eingeläutet. Worin besteht diese genau?

Galli: Seit dem vergangenen Jahr sind die Investitionen in den Jugendbereich und die Aufmerksamkeit uns gegenüber stark angestiegen. Dabei geht es uns auch um erzieherische Aspekte. Für uns ist wichtig, dass die Kinder auf und abseits des Platzes die Regeln beachten und den Gegnern, Mitspielern und dem Umfeld Respekt entgegenbringen. Sie sollen hohe Ziele anvisieren, immer alles geben und sich mit dem Verein identifizieren. Das ist unser Leitbild.

SPOX: Welche Rolle spielte bzw. spielt Galliani bei dieser Aufwertung des Jugendbereichs?

Galli: Eine sehr große. Er ist die treibende Kraft, der Schöpfer dieser Erneuerung.

SPOX: Wie viel investiert der Klub in den Jugendbereich?

Galli: Heute rund fünf Millionen Euro. Die Zunahme im Vergleich zu den Jahren zuvor war beträchtlich.

SPOX: Die "Primavera"-Spieler wie Alex Merkel, Rodney Strasser und Nnamdi Oduamadi haben in der Saisonvorbereitung bei den Profis mit tollen Leistungen auf sich aufmerksam gemacht. Momentan kommen sie aber nicht zum Zug. Hätten Sie sich mehr Einsätze "ihrer" Jungs unter Coach Massimiliano Allegri erhofft?

Galli: Nein, denn der Sprung zu den Profis ist immer sehr schwer. Besonders bei uns, denn die Qualität im Milan-Profiteam ist sehr hoch. Die Gründe, wieso das so schwer ist, liegen aber nicht alleine in unserem Jugendsektor. Da müssen wir weiter ausholen.

SPOX: Gerne.

Galli: Unsere jungen Spieler brauchen einen Weg, um schneller Erfahrungen sammeln zu können. Es wäre schön, wenn es in Italien auch 2. Mannschaften gäbe, die in einer Profiliga mitspielen. Damit sich die Spieler mit Profis messen können, wenn sie aus dem Jugendsektor kommen.

SPOX: In Deutschland haben die Profiteams 2. Mannschaften, die zum Teil in der 3. Liga spielen. Thomas Müller und Holger Badstuber z.B. haben von dort den Sprung zu den Bayern-Profis geschafft. Wäre dieses Modell auch in Italien vorstellbar?

Galli: Ja, das könnte ein Modell für Italien sein. In Spanien und England gibt es ja auch solche Ligen. Wir haben darüber bereits mit Arrigo Sacchi, dem Koordinator aller Jugend-Nationalmannschaften, gesprochen. Die großen Vereine haben ihre Ideen vorgebracht und dabei auch das Thema 2. Mannschaften angesprochen. Jetzt muss sich der Verband darum kümmern, wichtige Entscheidungen brauchen eben ihre Zeit. Aber es scheint, dass das der Weg ist, der gegangen werden soll.
Filippo Galli AC Milan Jugendsektor Alexander Merkel Italien Arrigo Sacchi

SPOX: Sie haben 13 Jahre bei Milan gespielt und kommen aus der Jugend der Rossoneri. Wieso ist es heute für einen jungen Spieler so schwierig, im Profiteam zum Zug zu kommen?

Galli: Weil die Vereine wenig Geduld und noch weniger Zeit haben. Das kurzfristige Ergebnis steht im Vordergrund, besonders die großen Teams haben nicht die Zeit, die jungen Spieler durch Einsätze reifen zu lassen. Junge Spieler machen Fehler, deshalb geht man kein Risiko - aus mehreren Gründen: Die Mannschaft soll nicht verlieren, der Trainer nicht seinen Posten riskieren und der Junge nicht verheizt werden. Daraus entsteht ein Teufelskreis, der den Aufstieg der jungen Spieler erschwert. Es gibt aber auch einen anderen Aspekt.

SPOX: Der da wäre?

Galli: Die Qualität. Wenn ein Trainer einen qualitativ hochwertigen Jungen hat, lässt er ihn auch debütieren. Wir haben hier momentan keinen, der für diesen großen Schritt schon bereit ist. Nehmen wir Mario Balotelli: Er hatte die Qualität und hat bei Inter den Durchbruch geschafft. Er ist ein Spieler, der größere Qualitäten als der Durchschnitt hatte und deshalb so jung in der Serie A debütiert hat.

SPOX: Der italienische Jugendfußball steckt momentan auch deshalb in der Krise, da die jungen Spielern in ihren Vereinen nur selten zum Zug kommen. Zuletzt scheiterte auch die U 21 in den EM-Quali-Playoffs gegen Weißrussland. Wie kommt Italien aus dieser Krise?

Galli: Die Verbandsspitze arbeitet daran. Eine von Sacchi geleitete Task Force hat sich der Problematik angenommen, Sacchi selbst wird alle Jugendzentren in Italien besuchen. Ich denke, dass die Zusammenarbeit zwischen Verband und den Klubs verbessert werden und eine gemeinsame Strategie ausgearbeitet werden kann. Die Talente gibt es, davon bin ich überzeugt.

SPOX: Müssen nicht auch die Klubs ihre Herangehensweise ändern?

Galli: Ja, es geht auf jeden Fall in diese Richtung. Das UEFA-Financial-Fairplay wird diese Entwicklung unterstützen, denn die Investitionen müssen in einen gewissen Rahmen passen. Dadurch wird der Jugendsektor mehr in den Mittelpunkt rücken. Aber noch einmal: Leo Messi oder Balotelli debütieren zu lassen, ist nicht schwer. Schwierig ist es, Spieler zum Debüt zu verhelfen, die nicht herausragende Qualitäten haben. Diese müssen unbedingt Erfahrung in einer Profiliga sammeln - und nicht nur in der "Primavera"-Meisterschaft, da diese eine reine Jugendliga ist. Ich stelle mir eine Profiliga mit Bezugstrainern der eigenen Profimannschaften und mit deren Spielphilosophie vor, damit der Übergang einfacher wird.
Die besten Spieler des Milan-Jugendsektors
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Paolo Maldini (42): Die Milan-Ikone beendete im vergangenen Sommer seine Karriere
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SPOX: Die italienischen Trainer sind weltweit begehrt, trotzdem schaffen es die jungen Spieler in Italien nur schwer nach oben. Eigentlich ein Paradoxon, da die italienische Trainerschule einen enorm hohen Stellenwert genießt.

Galli: Gar nicht mal so sehr. Die italienischen Trainer sind taktisch besser geschult als der Durchschnitt, aber um junge Spieler nach oben zu bringen, braucht man auch andere Qualitäten. Wir brauchen Ausbilder, die den technischen Bereich bestmöglich vermitteln. Für mich ist die Technik die Basis für alles weitere. Physis und Schnelligkeit sind auch wichtig, die Technik ist aber der grundlegende Aspekt.

SPOX: Sie waren auch schon als "Primavera"-Trainer tätig und waren im Frühjahr ein heißer Kandidat für die Leonardo-Nachfolge. Wie knapp sind Sie am Cheftrainer-Posten vorbeigeschrammt?

Galli: Ja, es gab die Möglichkeit, die Profis zu übernehmen. Der Verein hatte etwas in diese Richtung angedeutet. Ich habe die ganze Situation aber sehr entspannt gesehen und mich immer auf meine Arbeit als Jugendsektor-Leiter konzentriert. Als sich der Klub für Max (Allegri, Anm. d. Red.) entschieden hat, war ich froh. Er ist ein Freund und macht eine tolle Arbeit. Wir versuchen, ihn mit unserer Arbeit im Jugendsektor zu unterstützen.

SPOX: Wie ist Ihr Kontakt zu Allegri? Er ist aus seiner Zeit in Cagliari bekannt dafür, gerne und gut mit jungen Spielern zu arbeiten.

Galli: Wir stehen in ständigem Austausch und er beobachtet unseren Sektor ganz genau, besonders die "Primavera"-Mannschaft. Seine Präsenz ist gut für uns, aber bei allem Respekt für Cagliari: Milan ist eben eine andere Hausnummer, hier ist es aufgrund der vorhandenen Qualität nicht einfach, junge Spieler ins Profiteam einzubauen.

SPOX: Einer, der das in Zukunft schaffen könnte, ist der Spanier Adria Carmona, den Sie im Sommer aus der Jugendabteilung von Barca geholt haben.

Galli: Das war eine spezielle, keine alltägliche Operation. Der Junge wollte nicht mehr in Barcas Jugendsektor spielen, war aber noch nicht reif für den Sprung in die B-Mannschaft - deshalb bekam er vom Verein die Freigabe. Wir haben eine Außenstürmer gesucht und zugeschlagen, als sich die Möglichkeit ergab. Wir haben unsere Augen überall offen. Unser Chefscout Mauro Pederzoli, der auch für den FC Liverpool gearbeitet hat, ist momentan z.B. in Argentinien.

SPOX: In Deutschland wird besonders die Entwicklung von Alexander Merkel verfolgt. Wie stufen Sie ihn ein?

SPOX: Alex ist technisch sehr stark, seine Laufstärke und Ausdauerwerte sind auch sehr gut. Verbessern muss er sich noch wenn es darum geht, die richtige Entscheidung auf dem Platz zu treffen, wenn er den Ball hat. Er hat eine tolle Vorbereitung gespielt, aber auch er braucht Einsätze in einer Profiliga, um den Schritt nach ganz oben zu schaffen. Talent hat er allemal.

SPOX: Wäre eine Ausleihe bei ihm vorstellbar?
Filippo Galli AC Milan Jugendsektor Alexander Merkel Italien Arrigo Sacchi

Galli: Klar. Wenn es uns nicht gelingt, die 2. Mannschaften bald umzusetzen, ist eine Erfahrung außerhalb des Klubs auf jeden Fall eine Möglichkeit.

SPOX: Zurück zu den Profis: Was trauen Sie dem Allegri-Team in dieser Saison zu? Der Traum vom Scudetto lebt ja.

Galli: Titel zu holen ist immer schwer, aber ich glaube, dass die Mannschaft gerüstet ist, Meister zu werden. In der Champions League ist es schwierig, Prognosen zu stellen. Da kommt es darauf an, wie man im Frühjahr in Form ist, wenn die Spiele kommen, die zählen.

SPOX: Und ihre Jungs? Wer kann den Sprung schaffen?

Galli: Ich mache keine Prognosen. Sie müssen nur arbeiten, sehr hart arbeiten und sich bewusst sein, dass der Weg lang und beschwerlich ist. Aber wir haben Vertrauen in sie.

Markus Offline



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21.01.2011 23:25
#2 St. Paulis Ärzte im Interview Freitag, 14.01.2011 "Bundesliga-Profis trainieren nicht viel" Antworten

In den letzten Jahren hat sich im Profifußball auch die medizinische Betreuung enorm weiterentwickelt. Der FC St. Pauli stellt dabei eine der renommiertesten medizinischen Abteilungen in Deutschland und konnte so die Zahl der Verletzungen um 50 Prozent reduzieren. Im Interview mit SPOX geben die Mannschaftsärzte Dr. Carsten Lütten und Dr. Johannes Holz Einblicke in ihre Arbeit, erklären die Gefahren der Kälte, neue Methoden und die obligatorischen Medizinchecks - und werfen auch einen Blick auf den Oberschenkel von Arjen Robben.

SPOX: In den letzten Jahren hat sich im Profifußball auch der medizinische Sektor enorm weiterentwickelt. Was waren aus Ihrer Sicht die wichtigsten Entwicklungen beim FC St. Pauli?

Dr. Holz: Nun, als wir vor knapp zehn Jahren hier übernommen haben, begrenzte sich die Leistungsanalyse auf Laktatuntersuchungen. Im Grunde könnte man sagen: Es bestand keine kontinuierliche, sportwissenschaftliche Betreuung. Nun können wir sagen: Mit dem Antritt von Holger Stanislawski im Jahre 2006 haben sich viele Dinge geändert, und dies hat nachhaltig zur positiven Veränderung beigetragen.

SPOX: In einem Vorgespräch sagten Sie, dass Sie die Anzahl der Verletzungen innerhalb der letzten Jahre halbieren konnten.

Dr. Lütten: Man sagt, es fallen 2,1 Verletzungen pro Spieler pro Saison an. In der Summe kommen also 80 bis 90 Verletzungen auf eine Mannschaft zu. Wir unterscheiden zwischen leichten, mittleren und schweren Verletzungen. Schwer sind Verletzungen die über die 30-Tages-Grenze hinausgehen. Eine Spitzenmannschaft im europäischen Fußball hat fünf bis sieben schwere Verletzungen pro Spielzeit - da sollte man natürlich nicht drüber liegen, eher darunter. Wir liegen inzwischen weit darunter. Und ja, wir haben nun circa 50 Prozent weniger Verletzungen als noch vor zehn Jahren.

SPOX: Was ist passiert?

Dr. Lütten: Das damalige Trainingskonzept bestand darin, Fähnchen zu umdribbeln und auf das Tor zu schießen. So kannten wir das damals. Heute gibt es ein Funktionsteam, regelmäßige Leistungstest samt Auswertung und anschließenden Meetings. Alle sechs bis acht Wochen tauschen wir uns mit Holger Stanislawski aus. Er bekommt die von uns angesammelten Informationen an die Hand. Danach wird die Trainings- und Spielausrichtung mitunter neu gestaltet. Das ist neu.

SPOX: Was meinen Sie mit Leistungstests? Was wird da konkret getestet?

Dr. Holz: Ein erster Schritt im Jahr 2006 war die Überprüfung der sportlichen Leistungsfähigkeiten. Denn wir wissen alle, dass im Fußball unzählige Qualitäten gefordert werden. Wir wollten wissen: Wie gut sind die Spieler tatsächlich? Wie hoch kann ein Spieler springen? Wie schnell kann ein Spieler von null auf 30 Meter sprinten? Wie kräftig ist der Oberkörper? Ab der Regionalligasaison haben wir kontinuierlich standardisierte Messungen durchgeführt.

SPOX: Was hat die Forschung gebracht?

Dr. Holz: Erstaunliche Erkenntnisse. Wir wissen, dass ein Marius Ebbers in der körperlichen Form seines Lebens ist. Der war mit Anfang 20 nicht besser als zum jetzigen Zeitpunkt. Ein Mathias Hain, der in der Liga zu uns gekommen ist, bedankte sich für die eingeführten Maßnahmen. Er sagte, er würde sonst nicht mehr Fußball spielen.
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Kultkeeper beim Kultklub: Volker Ippig
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SPOX: Was genau verlangen Sie den Spieler nun ab? Können Sie das Ganze noch genauer skizzieren?

Dr. Lütten: Spieler mit wenig Sprungkraft mussten springen üben. Langsame Spieler mussten Sprints trainieren. Jeder Spieler hat seinen eigenen Athletikplan erhalten und musste gezielt an seinen Schwachstellen trainieren. Und am Ende erzielte das eingeführte Programm eben nicht nur Sprünge in der Leistungseffizienz sondern auch in der Verletzungsprophylaxe. Es kamen viele positive Dinge zusammen. Die Spieler sind physisch deutlich stabiler geworden. Das heißt, sie sind am Ende auch weniger verletzungsanfällig.

SPOX: Und die klinsmannschen Gummibänder sind zum Einsatz gekommen.

Dr. Holz: Unter anderem. Aber Holger Stanislawski, Andre Trulsen und Klaus-Peter Nemet haben die gesamte Trainingsarbeit neu überdacht und entsprechend geändert. Pedro Gonzalez wurde als Fitnesscoach in das Funktionsteam geholt. Fortan trieben sie die Arbeit an den genannten Schwachstellen voran und haben viele andere Formen eingesetzt. Dadurch erhöhten sie die körperliche Qualität der Akteure ungemein, und auch die verletzungspräventiven Übungen erzielten ihre Resultate.

SPOX: Der Aufstieg in die 2. Liga gelang.

Dr. Holz: Ja, das Produkt war glänzend: Vom 13. Platz in der Regionalliga schafften wir innerhalb weniger Monate den Sprung auf Platz 1. Doch nicht nur das änderte sich. Plötzlich gelangen uns Tore in der Schlussphase, dagegen kassierten wir nur noch ganz wenige Treffer gegen uns. Und wie gesagt: Wir konnten trotz mehr Trainings das Verletzungsaufkommen halbieren.

SPOX: Kann man sagen, dass in vielen anderen Sportarten härter trainiert wird?

Dr. Holz: Zumindest wissen wir durch eine Untersuchung von Pedro Gonzalez, dass ein Bundesligaprofi in der Regel 10,1 Stunden in der Woche mit Training beschäftigt ist. Unter uns: Das ist nicht viel.

SPOX: Zu Beginn des Gesprächs haben Sie bereits die Laktatuntersuchungen angesprochen. Es klang ein wenig heraus, dass Sie nicht unbedingt ein Fürsprecher dieser Leistungsdiagnostik sind...

Dr. Holz: Anhand der Laktatwerte lassen sich lediglich die Ausdauerwerte beurteilen. Diese Daten sind interessant, jedoch in ihrer Aussagekraft begrenzt. Wir sprechen also von einem einzigen Bereich, den wir beleuchten, wissen aber, dass der Fußball heutzutage viel, viel komplexer zu betrachten ist. Spielerische Fähigkeiten können ebenso wenig wie mentale bewertet werden. Insofern: Laktatdiagnostik ist ein wichtiger Leistungstest und muss regelmäßig gemacht werden. Aber sich allein auf die Laktatwerte zu verlassen, das ist Unsinn.

Dr. Lütten: Das Problem am Laktatwert ist: Es gibt im Grunde keine guten, beziehungsweise schlechten Wert. Jeder Mensch hat seinen individuellen Wert. Dasselbe gilt für den Sprung oder Krafttest. Ein Gerald Asamoah hat in seiner Veranlagung schon deutlich mehr Kraftvermögen, schafft von daher keine gewaltigen Entwicklungssprünge mehr. Andere Spieler, die mit weniger Kraft, können mit dem richtigen Training auch mit Ende 20 noch richtig explodieren.

Dr. Holz: Es gab Spieler, die bereits damals aus dem Stand knapp 50 Zentimeter hoch gesprungen sind. Das werden andere Profis vielleicht nie erreichen - trotz Sprungtrainings.

SPOX: Werden solche Dinge auch in den obligatorischen Medizinchecks bei Neuverpflichtungen gemessen? Oder wie sieht so ein Test aus?

Dr. Holz: Der Medizin-Check besteht aus zwei Teilen und wird vom DFB vorgegeben. Zu Beginn erstellt man einen Körperstatus; das bedeutet, dass man sich alle Gelenke, Muskelfunktionen, den Oberkörper und die Wirbelsäule anschaut. Bei Vorverletzungen, beispielsweise einem Kreuzbandriss, muss man die Stabilität des Knies noch mal speziell überprüfen. Der zweite Teil findet in einem sportmedizinischen Institut statt. Da werden die Spieler internistisch durchgeleuchtet. Das beinhaltet einen Ausbelastungstest auf dem Fahrradergometer oder auf einem Laufband. Es wird ein Belastungs-EKG und eine Herzechokardiographie gemacht. Neuerdings bieten wir den Spielern auch eine Herzkernspintomographie an. Das komplette Programm dauert so vier, fünf Stunden.

SPOX: Arjen Robben hat sich während der WM ein fünf Zentimeter großes Loch im Muskel zugezogen. Die holländischen Ärzte diagnostizierten erstmal lediglich eine Narbe und ließen ihn bis zum WM-Finale ran. Erst Bayerns Teamdoc Dr. Müller-Wohlfahrt stellte später die wahre Verletzung fest. Wie kann das sein?
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Dr. Holz: Mit einem Muskelfaserriss kann man unter bestimmten Voraussetzungen sicher ein Fußballspiel bestreiten. Die eigene Motivation kann antreiben, der betroffene Muskelabschnitt kann betäubt werden - da gibt es Varianten. Nur mit einem Muskelbündelriss wie ihn Arjen Robben hatte, und immerhin sprechen wir da vom größten Muskel an der Rückseite des Oberschenkels, ist ein Einsatz unmöglich. Da gibt es keine Spritze oder sonstigen Mittel. Bei einem Muskelbündelriss auf der Vorderseite des Oberschenkels könnte man nicht mal mehr das Bein heben. Letztlich: Die Frage, warum diese Verletzung so groß wurde, kann Ihnen im Grunde nur Dr. Müller-Wohlfahrt beantworten.

SPOX: Gerald Asamoah drohte zu Saisonbeginn mit einem Teilsehnenabriss in der rechten Oberschenkelmuskulatur mehrere Monate auszufallen. Rafael van der Vaart ist mit derselben Verletzung mal eine komplette Hinrunde ausgefallen. Heute wissen wir: Asamaoh kehrte bereits nach nur fünf Wochen zurück auf den Trainingsplatz. Wie lautet Ihre Erklärung?

Dr. Lütten: Rafael van der Vaart war sicherlich ungewöhnlich lange außer Gefecht. Bei Gerald Asamoah verlief die Heilung dagegen in der Tat außergewöhnlich schnell. Als Erklärung vielleicht: Wir haben Asamoah aktivierte und konzentrierte Thrombozytenplättchen an die Sehne gespritzt, um den Heilungsprozess zu fördern. Das hat hervorragend geklappt und dieser Eingriff hat das Ganze sicherlich beschleunigt - ist jedoch eine sehr neue Methode.

SPOX: Zum Schluss: Trügt der Schein, oder steigt die Anzahl der Verletzungen in den kalten Monaten erheblich?

Dr. Holz: Es gibt tatsächlich Beobachtungen, dass in den kalten Monaten häufiger Achillessehnenprobleme auftreten. Das liegt vor allem an den bisweilen matschigen Platzverhältnissen. Dann sinkt die Ferse tiefer in den Boden ein. Ist der Boden gefroren, sinkt die Ferse gar nicht ein. Damit ergeben sich unschöne Belastungen für den Rückfuss.

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